Der Abend legt sich leise über unser Haus,
Friedliche Schatten ringsum steigen.
Ein langer Tag klingt in der dunklen Stube aus,
Garten und Weg liegen im Schweigen.
Als die Jule vor knapp zwei Jahren verstarb, konnte ich ihren Abschiedsgruß direkt formulieren. Jule und ich teilten unendlich viele Erlebnisse rund um meine kleine besondere Hundezucht. Ihr Tod machte mich unendlich traurig. Und ich liebte diese fröhliche, quirlige Hündin über alles. Aber Jule war nie mein Hund. Jule war immer Mischas Hund.
Sie war damals – vor so vielen Jahren – das größte Geschenk, das ich meinem Hund – meinem Mischa – geben konnte. Denn er, er war mein Hund. Ein großer, sehr starker, sehr souveräner Rüde. Er war dieses besondere Tier, welches nicht zu dem, was es ist, erzogen werden musste. Er brachte einfach alles mit – seinen unglaublich starken Charakter, seine Unerschütterlichkeit, seine Furchtlosigkeit…seine Ruhe, seine Besonnenheit.
Ich habe ihn häufig als meinen Seelenhund beschrieben. Dabei konnte er immer ohne mich – ich aber niemals ohne ihn. Er war mein Fels in der Brandung.
In der Hektik eines jungen turbolenten Familienlebens war er immer derjenige, der mich zur Ruhe und eigener Besonnenheit brachte.
Liegst Du, wie Hunde liegen,
Fest eingerollt zu meinen Füßen am Kamin
Und schnarchst, daß sich die Scheite biegen.
Er war der eigentliche Gedanke meiner Hundezucht. Hunde wie ihn wollte ich züchten und viele Menschen damit glücklich machen. Mit vielen seiner Nachkommen ist das auch gelungen.
Dabei empfand er Jule anfangs so gar nicht als Geschenk. Einem erwachsenen starken Hund, der in sich ruht und sehr gut alleine klar kommt, überreiche ich ein quirliges, lustiges Geschöpf, das den ganzen Tag nur Flausen im Kopf hat und ihn nicht eine Minute in Ruhe lassen konnte. Jule wurde niemals müde, ihn zum Spielen aufzufordern und er schaute mich oft genervt an, als wolle er sagen: Wenn überhaupt wollte ich eine Frau und nicht ein nervendes, zotteliges, vor Übermut und guter Laune überschäumendes Bündel Hund.
Ich weiß noch, dass ich in den ersten gemeinsamen Monaten mit diesem ungleichen Hundepaar manchmal verzweifelt war. Ich versuchte auf ihn einzureden, dass sie doch bezaubernd sei und er ihr wenigstens eine klitzekleine Chance geben könne. Ein bisschen gute Laune würde auch ihm gut zu Gesicht stehen (dabei war er nie schlecht gelaunt…er war aber auch nicht der Typ Hund, der ausgelassen durch die Welt rennt…er war mehr für sich und in sich.) Und vielleicht würden sie sich ja auch gut ergänzen.
Ich erinnere mich noch genau an den Augenblick als er zum allerersten Mal einer ihrer unzähligen Spielaufforderungen nachgab und ausgelassen mit ihr durch den Garten tobte. Mein Herz tat einen Sprung – einen ganz gewaltigen – und ich durfte beobachten, wie sie sein Herz eroberte, Stück für Stück, nach und nach, mit viel Geduld und auch irgendwie raffiniert…irgendwie einer ganz großen Liebe gleich.
Und schlussendlich sollte es auch genauso sein. In den letzten Jahren kamen sie mir oft vor, wie ein altes, glücklich vertrautes Ehepaar. Sie gehörten zusammen und wie gut sie sich ergänzten wissen die Besitzer ihrer gemeinsamen Kinder – unserer A’chen und B’chen.
Zusammen mit Jule lernte Mischa ein Rudel zu führen…
…sowie sich sehr liebevoll und einfühlsam um die jüngsten des Rudels zu kümmern…
Und so war er nicht nur mein Fels in der Brandung. Er wurde zum unermüdlichen Sozialisierungspartner unserer vielen Welpen und Gasthunde. Er forderte sich Respekt ein und konnte unglaublich treffsicher sanktionieren, ohne dabei zu verletzen.
Jule wiederum konnte in seiner Stärke ruhen, konnte sich immer auf ihn verlassen und ihre eigenen tollen bezaubernden Eigenschaften kamen irgendwie erst durch ihn richtig zur Geltung.
Er selbst war so sehr bescheiden in seiner Art – o. k. wenn wir von seiner unermüdlichen Suche nach Futter, der auch viele Jacken und Taschen zum Opfer gefallen sind einmal absehen – war mit ganz wenig zufrieden und nahm das Leben stets so, wie es kam.
Und obwohl ich wusste, dass sein Abschied naht, war ich an dem Tag doch überrascht. Es traf mich wie ein Schlag. Er ging auch nicht still und leise und schlief auch nicht friedlich ein. Nicht so, wie Jule, die ihr Leben einfach loslassen konnte. Er kämpfte und machte das, was er am besten konnte: er tat so als wäre alles in bester Ordnung.
Auch, wenn ich es im allerersten Augenblick nicht wahrhaben wollte, so wusste ich aber ein paar Augenblicke später, dass der Zeitpunkt gekommen war, mein Versprechen einzulösen, das ich ihm vor langer Zeit gab: Er sollte sich nicht unnötig quälen, weil ich nicht in der Lage sein würde, mich zu verabschieden.
Da die 24 Stunden vom 2. auf den 3. Dezember ein Auf und Ab waren, ein Kampf gegen Tod und Zeit, machte ich ihm ein letztes Geschenk: Wir liefen am frühen Morgen des 3. Dezembers noch einmal die Strecke am Freien Stuhl. Entlang des Wassers zusammen mit Olli. Diese Strecke liebte er und wir sind sie unendlich oft gelaufen…allein oder in Begleitung vieler anderer Menschen – mit und ohne Hund. Seine Verfassung war genau in dieser Stunde so gut, dass wir diesen gemeinsamen Abschiedsgang unternehmen konnten und ich hatte – wie so oft – das Gefühl, es wäre ein Tag wie jeder andere. Und dabei war es so, wie Herbert Grönemeyer in seinem Song „Sekundenglück“ singt: …der Tag ist alles ausser gewöhnlich…
Und ich genoss dieses Sekundenglück – ein letztes Mal zusammen mit meinem Hund, der immer ohne mich konnte, ich aber nicht ohne ihn!
Und so fuhr ich mit ihm zu unserem langjährig vertrauten Tierarzt. Sein Fell noch nass und voller Sand nahm er gerne das Futter von den Sprechstundenhilfen, die ihn seit so vielen Jahren kennen und die er geliebt hat wie alle anderen Menschen auch, die ihm wohlgesonnen waren – ja o. k. und auch bereitwillig Futter gaben.
Alleine saß ich mit ihm auf dem Boden des Behandlungsraums, sein dickes nasses Fell nahm großzügig auch noch meine Tränen auf und hörte seinen Sand zwischen meinen Zähnen knirschen als sein Herz aufhörte zu schlagen.
Als Olli und ich mit seinem leblosen Körper im Kofferraum nach Hause fuhren, lief ein Song im Radio, der es besser nicht ausdrücken konnte:
CHRISTMAS WITHOUT YOU!
2018 war für mich persönlich ein Jahr, das viele Veränderungen mit sich bringen sollte. Als ich mit meinem Hund am 3.Dezember auf dem Fußboden der Tierarztpraxis saß, fragte ich ihn total verzweifelt, warum er mich genau jetzt alleine lassen müsse, ich würde ihn so sehr brauchen und könne mir ein Leben ohne ihn nicht vorstellen. Meinem Fels in der Brandung.
Wir sind jetzt vier Wochen weiter und ich weiß nun um seine Antwort: Er konnte immer ohne mich…aber ich nun auch ohne ihn, weil ich im vergangenen Jahr viel von mir wiedergefunden habe, von dem, was mich ausmacht…daher konnte er nun endlich gehen. Er wusste, dass er mich allein lassen kann. Ich würde klar kommen – ohne ihn. Und ich bin ihm von Herzen dankbar für die vielen vielen Jahre, in denen er so sehr zuverlässig immer an meiner Seite war.
Und ein Tag mehr ist schon vollbracht
Nun, braves, altes Schnarchhorn, gute Nacht!
Reinhard Mey
Und auch, wenn Ihr alle in diesem Jahr keinen Weihnachtsgruß erhalten habt, wünsche ich Euch nun von Herzen ein gutes neues Jahr 2019 und freue mich auf ein Wiedersehen!
Cordula